Das neu definierte Kelvin

Darstellung der SI Einheiten Ampere Kelvin Kilogramm Sekunde Mol Meter CandelaStellen Sie sich vor, Ihnen sagt irgendwann jemand, dass ein Meter plötzlich länger (oder kürzer) als ein Meter ist. Oder eine Kilogramm nicht mehr ein Kilogramm wiegt. Dann wären Sie ziemlich überrascht, oder? Wie muss sich dann erst ein Ingenieur fühlen, der sich auf bindende Definitionen von Einheiten für Längen, Gewichte, Temperaturen, Energie oder Zeit einfach blind verlassen können muss? Und dann lese ich letztens einen Artikel mit der Überschrift: ‚Neue Definition für Kelvin unterwegs‘. Oha, dachte ich da zuerst, die armen Bauphysiker. Denn ohne eine verlässliche Definition der SI-Basiseinheit ‚Kelvin‘ kommt ein Bauphysiker kaum aus.

Raumtemperaturen, Thermografien, Feuchteberechnungen, brandschutztechnische Bewertungen – all dies basiert nun einmal auf der Einheit Kelvin. Wenn diese Einheit nun nicht klar definiert ist, dann vergleicht man im besten Fall Äpfel mit Birnen, im schlimmsten Fall kann dies eine Gefahr für Gebäude oder Menschen darstellen. Nun, die weitreichenden Konsequenzen aus der Überschrift des Artikels mit der Ankündigung einer neuen Definition wurden im Artikel selber wieder relativiert. Puha, welche Erleichterung!

Vielleicht vorneweg noch eine kurze Definition eines Kelvin (Abkürzung: K):
Hiermit werden Temperaturen oder Temperaturdifferenzen beschrieben, insbesondere in technischen Bereichen. Die Einheit wurde nach dem britischen Lord Kelvin (1824 bis 1907) benannt, der mit 24 Jahren die thermodynamische Temperaturskala einführte. Der Nullpunkt der Kelvinskala liegt am absoluten Temperaturminimum von -273,15°C. Demnach basiert auch die im Volksmund weitaus geläufigere Einheit zur Beschreibung von Temperaturen ‚Grad Celsius‚ (Abkürzung: °C) auf der Definition eines Kelvin. Man kann den Temperaturunterschied zwischen 21°C und 23°C also zwar durch die Bezeichnung 2 Kelvin ausdrücken, man wird dann leider nur selten verstanden.

Übrigens wurde die Bezeichnung ‚Grad Kelvin‘ schon im Jahre 1968 abgeschafft. Kelvin heißt seitdem nur noch Kelvin. Aber Celsius nennt man nachwievor ‚Grad Celsius‘. Daneben gibt es dann noch Grad Fahrenheit (= TK · 1,8 − 459,67), Grad Rankine (= TK · 1,8), Grad Delisle (= (373,15 − TK) · 1,5), Grad Réaumur (= (TK − 273,15) · 0,8), Grad Newton (= (TK − 273,15) · 0,33) und Grad Rømer (= (TK − 273,15) · 21⁄40 + 7,5) – nur um das einmal erwähnt zu haben… jetzt aber wieder zurück zur neuen Definition von Kelvin.

Es liegt generell im Bestreben der Wissenschaft, alle der folgenden sogenannten SI-Einheiten durch Naturkonstanten beschreiben zu können. Dies gilt insbesondere für Kilogramm, Ampere, Kelvin und Mol:

Größe Einheit Zeichen Definition
Länge Meter m Länge der Strecke, die das Licht im Vakuum während der Dauer von 1 / 299.792.458 Sekunde zurücklegt
Masse Kilogramm kg Masse des Internationalen Kilogrammprototyps
Zeit Sekunde s Das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Caesium-Isotops 133Cs entsprechenden Strahlung
Stromstärke Ampere A Stärke eines konstanten elektrischen Stromes, der zwischen zwei dünnen Leitern pro Meter Leiterlänge die Kraft 2·10−7 Newton hervorruft, die sich im Vakuum im Abstand von 1 Meter voneinander befinden
Thermodynamische
Temperatur
Kelvin K 1 / 273,16 der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunkts von Wasser genau definierter isotopischer Zusammensetzung
Stoffmenge Mol mol Die Stoffmenge eines Systems, das aus ebenso viel Einzelteilchen besteht, wie Atome in 12 Gramm des Kohlenstoff-Isotops 12C in ungebundenem Zustand enthalten sind
Lichtstärke Candela cd Die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die monochromatische Strahlung der Frequenz 540·1012 Hz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung 1 / 683 Watt pro Steradiant beträgt

Damit beruht also die Basiseinheit ‚Kelvin‘ auf einem Stoff, der chemisch und physisch in unendlichen vielen Variationen vorkommen kann: Wasser. Natürlich hat man sich bei der bisherigen Definition des ‚Normwassers‘ an einem Wasser mit spezieller Zusammensetzung orientiert. Die Rede ist hierbei vom ‚Vienna Standard Mean Ocean Water‘ (VSMOW), das mit seinem definierten Isotopenverhältnis zwischen Wasserstoff und Sauerstoff seit 1968 den Standard für (Reinst-)Wasserproben darstellt. Hierdurch wird auch der Unterschied zwischen zwei Temperaturwerten von einem Kelvin und einem Grad Celsius ermöglicht.

Um aber nicht mehr auf diese Spitzfindigkeiten aus dem Bereich der Materialwissenschaften angewiesen zu sein, versucht man schon seit geraumer Zeit, die Definition eines Kelvin aus einer Naturkonstante abzuleiten. Hierfür könnte sich die Boltzmann-Konstante (Abkürzung: k oder kb) anbieten, die irgendwo bei einem Wert von 1,3806488·10-23 J/K liegt. Doch genau dieses ‚irgendwo‘ verhinderte bisher eine genau Definition von ‚Kelvin‘.

Nun wollen aber sowohl britische als auch italienische Forscher eine Messmethode entwickelt haben, die eine ausreichende Genauigkeit der Boltzmann-Konstante liefern kann. Ob diese Methoden für eine neue Definition eines Kelvin ausreichend genau sind, kann sich bereits auf der nächsten Conférence Générale des Poids et Mesures (CGPM) entscheiden.

Doch wird sich diese Entscheidung – entgegen der Überschrift des Artikels – kaum auf das Bauwesen auswirken. Mit einer neuen Definition wird lediglich die Reproduzierbarkeit der SI-Einheit ‚Kelvin‘ verbessert, aber kaum deren Genauigkeit bzw. deren Wert.

Ist es nicht schön zu wissen, womit sich andere Fachgebiete so beschäftigen?

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