Fußballstadien – Kathedralen unserer Zeit

Fussballstadion Barcelona Camp Nou Mes que un clubDie Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine ist in vollem Gange, die erste Hälfte der Vorrunde ist schon gespielt. Da wird es höchste Zeit, dass die Bau-Praxis einen Blick über den grünen Rasen hinaus wagt und sich die Fußballstadien der heutigen Zeit genauer ansieht. Denn ein Fußballstadion ist die Kathedrale von heute, sowohl architektonisch als auch gesellschaftlich für die Pilger in Sachen Fußball. Baute die Kirche früher für Unsummen prächtige Gotteshäuser, geben Fußballvereine und Städte heute nicht viel weniger für moderne Fußballtempel aus. Doch was macht ein richtig gutes Stadion aus? Wie haben Stadien sich entwickelt? Und was können wir in Zukunft erwarten?

Die Stadien der Antike – angefangen mit dem Stadion im griechischen Olympia – kannten natürlich noch keinen Fußball. Auf den Bahnen dieser Stadien mit einer relativ schmalen Fläche in der Mitte wurde ausschließlich gesprintet. Die Form eines langgezogenen Ovals bot sich an, um die Länge der Laufbahn von einem ‚Stadion‘ (altgriechisches Längenmaß für 600 Fuß oder je nach Schuhgröße irgendwas zwischen knapp 176 und 197 Metern) für möglichst viele Zuschauer sichtbar zu machen. Die Zuschauer saßen dabei schon einige Jahrhunderte vor Christus auf natürlichen oder handgemachten Wällen aus Erde oder Felsen, um eine ungestörte Sicht aus verschiedenen Höhen zu genießen.

Die Römer lösten die Griechen dann als Baumeister für Sportarenen ab, wobei sie sich allerdings mehr für Kämpfe von Gladiatoren und mit wilden Tieren begeistern konnten. Auch die Baustoffe für die Tribünen änderten sich. Wurde anfänglich noch viel mit Holz gearbeitet, gab es in den ersten Jahrhunderten nach Christus immer mehr Zuschauerränge, die aus Stein und Mörtel bestanden. Am Kolosseum in Rom trugen Holzpfähle auf dessen Außenseite eine Überdachung für die Zuschauer aus Stoff.

Das Ende der Ära von Sportstätten in dieser Art wurde mit dem Untergang des römischen Reiches und dem Aufkommen der katholischen Kirche eingeläutet, die generell nicht viel vom Zurschaustellen halbnackter Körper hielt. Den Architekten und Baumeistern dieser Zeit wurde vielmehr ans Herz gelegt, sich mit dem Bau von Kirchen und Kathedralen zu verdingen. In großen Städten mit großen Kathedralen waren diese eine einträgliche Einnahmequelle für Kirche und Stadt, ähnlich wie es große Fußballstadien heute sind.

Doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Stadien wieder populärer. Mit der beginnenden Industrialisierung wurde anfänglich in England Fußball zu einer beliebten Sportart und 1896 fanden die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit im restaurierten Panathinaiko-Stadion in Athen statt. Seitdem wurde Fußball für viele Menschen zu einer Religion und der wöchentliche Gang in die Kirche wurde ins Stadion verlegt.

Das grundlegende Design eines Stadions hat sich die letzten 3000 Jahre jedoch kaum verändert. Im Bild unten sieht man einen Schnitt durch das neue Nationalstadion in Warschau, das für die Fußball-Europameisterschaft gebaut wurde, verglichen mit dem des Amphitheater Flavium, besser bekannt als das Kolosseum in Rom. Geometrisch und funktionell liegen hier keine 2000 Jahre zwischen den beiden Stadien.

Schnitte von Nationalstadion in Warschau und dem Kolosseum in Rom

Trotz der langen Geschichte von Stadien kämpfen Ingenieure und Architekten jedoch immer noch darum, das einzigartigste Stadion zu entwerfen. Stadien sind zu millionenschweren Werkzeugen für das Branding einer Stadt bzw. einer Region geworden und stehen teilweise auch im Mittelpunkt von Stadtentwicklungsprojekten. Aber wo kommen die Neuerungen her, die die Fußballtempel der heutigen Zeit ausmachen, wenn die ovale Form, die schrägen Tribünen, die Überdeckung der Zuschauer oder die überdimensionalen Gänge und Katakomben auch heute noch charakteristisch sind? Wo unterscheiden sich Stadien voneinander? Steckt die Innovation im technischen Detail?

Olympiazentrum München 1972Rod Sheard ist der wohl bekannteste Stadionarchitekt der Welt und unter anderem involviert in den Bau vom neuen Wembley Stadion, vom Centre Court in Wimbledon, von 13 Olympischen Stadien sowie 35 der Stadien, die zur Zeit für die Olympischen Spiele 2012 in London entstehen. Er sieht die Kunst vom Bau eines Stadions nicht so sehr in der Bautechnik selber sondern in den Materialien begründet, die den Baumeistern in den unterschiedlichen Zeitepochen zur Verfügung gestanden haben. Das Dach des Olympiastadions bzw. des Olympiazentrums in München aus dem Jahre 1972 ist ein sehr gutes Beispiel für die Entwicklungen. Hier wurde zum ersten an einem Stadion in großem Stil gezeigt, wie leichtgewichtig man eine Dachkonstruktion mit Masten, Kabeln und Kunststoff bauen kann. Das Stadion wurde damit zur Inspiration unzähliger Ingenieure und Architekten bei deren Suche nach einem gelungenen Stadiondesign.

Zukünftige Entwicklungen von Stadien dieser Welt werden mehr Augenmerk auf Aspekte wie Energieeffektivität und Nachhaltigkeit legen. Dabei sehen Experten den Ersatz von Stahl durch Kompositmaterialien und den Einsatz von Solarzellen, die in den riesigen Stadiondächern integriert werden, als interessante Entwicklungen. Generell treiben Fußballstadien jedoch keine Technologie voran – hier wird aus guten Gründen mehr Wert auf Sicherheit und Verlässlichkeit gelegt.

Wer sich ein wenig mehr über die Stadionarchitektur unserer Tage informieren möchte, kann dies in 2 Ausstellungen tun, die in Berlin (Choreographie der Massen) und bald in London (Stadia: Sport and Vision in Architecture) zum Besuch einladen.

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2 Comments

  1. Stefan said:

    Danke 🙂
    Ja, ausschließlich über technische Sachen zu schreiben, kann es ja auch nicht sein. Und wie kriegt man sonst die Verbindung zwischen Fußball und Kirche geknüpft 😉

    22. Juni 2012

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